Von Ed Sheeran über Madonna bis Metallica – internationale Musikstars nutzen die Technik von Native Instruments aus Kreuzberg.
Berlin. Im Halbdunkel dreht Justin Timberlake an einem Regler und klopft auf die Pads eines etwa schallplattengroßen Gerätes. Blubbernder Sound, klirrendes Glas, so beginnt der aktuelle Hit „Say Something“ des US-Popstars. Mehr als 120 Millionen Mal haben Menschen aus aller Welt das Video auf YouTube geklickt, in dem Berlin eine tragende Rolle spielt. Denn das Sound-Gerät namens Maschine stammt aus Kreuzberg. In den Gewerbehöfen zwischen Schlesischer Straße und Spree hat sich die Firma Native Instruments über die Jahre zum weltweit führenden Anbieter für Musik-Software, Sound-Geräte und Anlagen für DJs entwickelt.
„Es gibt heute kaum kommerziell erfolgreiche Musik, bei der Native Instruments nicht irgendwie dabei ist. An uns kommt man nicht vorbei“, sagt Daniel Haver, der die Firma mit inzwischen fast 600 Mitarbeitern gemeinsam mit dem früheren DJ Mate Galic führt. Er kommt ein bisschen zu spät zum Termin. Sein Sohn habe nicht in der Kita bleiben wollen, deshalb habe es etwas länger gedauert.
Das Unternehmen sitzt nah an Clubs und Konzerthallen
Die Liste der Musiker, die Produkte wie Maschine, die Instrumente- und Klängesammlung Komplete oder das DJ-System Traktor nutzen, ist lang und reicht vom Songwriter Ed Sheeran über DJ-Helden wie Kygo und Khaled bis zu Megastars wie Madonna oder Rockern wie Metallica. Und in der Filmmusik läuft ebenfalls wenig ohne die Produkte aus Berlin, die auch der Oscargewinner Hans Zimmer benutzt.
Dabei hatte Native Instruments (NI) 1996 zunächst als reine Software-Firma angefangen. „Wir haben den Computer in ein Musikinstrument verwandelt“, beschreibt Daniel Haver die Grundidee, die seinerzeit revolutionär anmutete. Tatsächlich ist Software immer noch der Kern des Geschäfts und des Know-hows. Geräte wie Maschine oder das mit einer Klaviertastatur ausgestattete Komplete Kontrol S 49 dienen nur dazu, die Bedienung einfacher und intuitiver zu machen als mit einer Computermaus. Aber sie tragen zum Erfolg bei. „So kann ich beim Spielen auch mal die Augen zumachen und mich treiben lassen“, beschreibt der Produktexperte Marcel Kussel, selber Musiker, den Vorteil.
Für Firmenchef Haver, der einst eine Designagentur in Hamburg gründete, ehe er als Fan elektronischer Klänge ins Musikgeschäft wechselte, ist die Nähe zu seinen Kunden, also Musikern, Produzenten und DJs ganz wichtig. Deshalb saß Native Instruments auch immer in Kreuzberg, einen Steinwurf von vielen Clubs und Konzerthallen entfernt, wo sie auch mal schnell die Prototypen eines neu geschaffenen Sounds testen können.
Los Angeles, London, Paris, Tokio, Shenzhen
Aber NI operiert längst weltweit, gerade ist Haver von einem längeren USA-Aufenthalt zurückgekehrt. Die Standortliste klingt beeindruckend: Los Angeles, London, Paris, Tokio und Shenzhen. In China lassen die Berliner ihre in Deutschland designten Geräte zusammenbauen. L. A. ist wegen der Nähe zu vielen Künstlern wichtig, in England wird auch viel Software entwickelt. Aber überall ist die Firma dort, wo es hip ist wie in Kreuzberg. „So sind auch die Standorte aller anderen Niederlassungen. Wir sind immer dort, wo viele unserer Kunden leben, sich die Mitarbeiter wohlfühlen und wo es kulturell abgeht, etwas passiert“, sagt Haver. Denn die Software-Musiker sind auch kreativ und brauchen entsprechendes Personal: „Wir haben auch viele neuartige Klänge erschaffen und Musikstile beeinflusst“, sagt der Chef selbstbewusst.
Der Erfolg und das Wachstum der Firma sorgen aber auch für Probleme. Auf nicht weniger als 28 verschiedene Fabriketagen und andere Räume verteilen sich die 450 Berliner Mitarbeiter. Um neue unterzubringen, muss das Unternehmen weiter expandieren und etwa entlang der Skalitzer Straße Flächen anmieten. Überall sieht man Mitarbeiter mit dem Laptop unter dem Arm herumlaufen. Viele versammeln sich in der Firmenlounge im letzten Hof, wo sie mit Rechner auf dem Schoß auf Polstern sitzen und arbeiten.
Schon lange sucht Haver einen Platz für einen eigenen Firmensitz. Es sollte aber aus genannten Gründen in Kreuzberg oder vielleicht noch in Mitte sein. Der Weltmarktführer braucht 8000 bis 10.000 Quadratmeter, um das ganze wachsende Berliner Team an einem Ort zu versammeln. Senat und Wirtschaftsförderung hätten sich bislang jedoch nicht gekümmert um das Unternehmen, das mit 80 Millionen Euro Jahresumsatz in der Stadt nicht zu den kleinen gehört. „Noch nie hat jemand gefragt, ob er etwas für uns tun kann. Aber wir kriegen das auch so hin“, sagt Haver. Von der Politik ignoriert zu werden, ist für die Firma nicht neu. Noch nicht mal eine Fußgängerampel über die Schlesische Straße wurde bewilligt, mit der die Menschen aus den Fabrikhöfen sicher zum Lunch in den Wrangelkiez gelangen würden.
„Am Ende gewinnen doch immer die Hacker“
Die Widrigkeiten sollen aber den Siegeszug nicht aufhalten. Native Instruments plant für die nahe Zukunft noch einmal „einen richtigen Sprung“, wie der Chef sagt. Mit einer Finanzspritze von 50 Millionen Euro durch den Fonds EMH sowie ein millionenschweres Investment von Haver und anderen Führungskräften ist das nötige Geld dafür in den Kassen. Denn bisher waren die Produkte eher für Profis oder ambitionierte Musiker gedacht. Nun gehen die Berliner mit einer günstigen Musik-Software namens sounds.com in den Markt. Damit sollen auch Amateure in die Native-Instruments-Welt gezogen werden und selbst Musiker werden. „Es ist hilfreich, Klavier spielen zu können. Aber es ist nicht zwingend“, sagt Haver. Die neue Strategie soll dazu führen, dass sich die Zahl der Kunden exponentiell entwickelt.
Zudem will sich NI als eine Plattform für die ganze Branche etablieren. Auf ihren Systemen sollen also auch andere Anbieter von Sounds und Klängen ihre Produkte anbieten können. „Wir sind in vielen Bereichen der Industriestandard“, erklärt der Manager. In der Anfangszeit habe man aber wie die gesamte Musikindustrie mit geklauter Software zu kämpfen. „Wir haben mehrere Millionen Kunden, ein Mehrfaches davon, etwa noch mal zehn bis 55 Millionen Menschen, nutzen unsere Software-Produkte ohne dafür gezahlt zu haben“, sagt Haver. Anfangs habe man viel Geld in den Schutz geistigen Eigentums gesteckt. „Aber am Ende gewinnen doch immer die Hacker“, haben sie gelernt. Seitdem gilt: „Unsere Software-Produkte und -Preise müssen so attraktiv sein, dass viele bereit sind, dafür zu zahlen“, so Haver.